Vom Wachstum der Schrumpfung – oder: Warum Stadt nicht ohne Gärten geht

15. September 2014 von Gregor

Auch in Vertretung von UFER haben Sebastian, Markus, Hanna und ich letzte Woche die internationale Degrowth-Konferenz in Leipzig besucht, deren Titel auf Deutsch etwa soviel bedeutet, wie “Wachstum überwinden”.

Das Anliegen der Veranstaltung war, Nachhaltigkeits-Engagierte logo-degrowth-headeraus Wissenschaft, Kunst, Politik und Praxis zusammen-zubringen, um konkrete Ansätze zu entwickeln, wie wir unser Leben nach dem unvermeidlichen Ende des Wirtschafts- und Bevölkerungswachstums gestalten können.

Wir waren dabei vier von über 3000 Teilnehmenden(!) – Mit einer Länge von 5 Tagen, 20 Veranstaltungsorten und über 300 Vorträgen und Workshops, war es eine Veranstaltung der Superlative; eine Konferenz, die in weiten Teilen den Logiken der aufmerksamkeits-heischenden Wachstums-Welt folgte, die zu überdenken sie sich eigentlich zum Ziel gesetzt hatte. (Eine sehr sympatische ausführlichere Betrachtung dazu findet sich hier.)

20140904_135326Entsprechend wenig konkrete Begegnung und Ansatz-Entwicklung war meines Empfindens nach möglich: Fast alle Begegnungen, die ich auf der Konferenz hatte, fingen an mit einem Satz wie: “Ist das hier alles viel … Mich haut das grad ganz schön um.” Viele Workshop-Besuche endeten mit der Einsicht: “Da haben wieder nur ein paar ‘Experten’ die ganze Zeit geredet.“ oder “Mein Kopf platzt gleich und dann müsst ihr die ganze Theorie wieder aufräumen, die da grad reingesteckt wurde!”

Was fehlte, waren definitv ausgleichende Angebote für Herz, Seele und Hände: Viele waren traurig, dass der Permakultur-Campspace nicht stattfinden konnte, den wir vorbereitet hatten. Aber als Sebastian und ich einen Fermentations-Workshop in einem Gemeinschaftsgarten Annalinde angeboten haben, waren alle erleichtert, mal aus – sehr modern(d)en – Unigebäude raus zu kommen, in dem die Konferenz hauptsächlich stattfand.

Nichtsdestotrotz haben wir natürlich auch eine Menge spannende Gespräche geführt und über Themen nachgedacht, die für unsere Aktivitäten mit UFER bedeutsam sind – und davon will ich euch berichten: Transition-Engagierte aus Dresden und Leipzig organisierten Diskussionsrunden zu den Problemen und Lösungsansätze von Wandel-Initiativen und in einer davon ging es auch um urbane Gemeinschaftsgärten:

Dabei sprachen wir über so verbreitete Problemfelder, wie die Frage, welchen Beitrag oder welche Gegenwehr unsere Gärten eigentlich zur Gentrifizierung leisten, wie wir mit den prekären, oft befristeten Nutzungsbedingungen für Brachflächen umgehen können und wie wir Öffentlichkeit und Politik stärker klar machen können, wie wichtig Gemeinschaftsgärten eigentlich für die Zukunfts- (und Gegenwarts-) Fähigkeit der Stadt sind.

Da die Antworten auf diese Fragen alle sehr stark ineinander fließen, will ich die Ergebnisse (aus meiner Sicht) in einem Absatz kurz zusammenfassen:

Wir sind uns relativ sicher, dass Stadtgärten das Gentrifizierungs-Potenzial einer Nachbarschaft erhöhen, eben weil sie oft die Lebensqualität bedeutend erhöhen. Da die Alternative, um diese Gefahr zu vermeiden, hieße, die Nachbarschaft lieber verkommen zu lassen, ist das aber nicht der Punkt. Vielmehr sollten wir uns fragen, wie wir nach der Aufwertung der Lebensqualität, der drohenden Gentrifizierung entgegen wirken können. Und dafür zeigen sich bisher 3 verschiedene, alle nicht ganz einfache Ansätze:

  • Der erste ist ein finanzieller: Er heißt, Grundstücke zu kaufen, um sie so der Marktspekulation zu entziehen und dem Gemeinwesen zurückzugeben.
  • Alternativ oder ergänzend dazu der politische Ansatz: Das Bewusstsein über die Wichtigkeit von Stadtgärten und Unterstützungsmöglichkeiten in die Regierung und Verwaltung bingen, sodass die Kommune langfristig geeignete Grundstücke zur Verfügung stellt und nicht verkauft und nicht anders bebaut.
  • Und beide brauchen den gesellschaftlichen Ansatz: Die Mitwirkung am Aufbau starker, von vielen Verbindungen geprägter Nachbarschaften, die durch Investitionen von außen nicht so schnell zerstreut oder zerissen werden.

Was das für uns als Garteninitiativen heißt, ist meiner Wahrnehmung nach, also:

Es ist an uns, nach außen hin deutlich zu machen, also der Kommune, unseren Nachbarschaften und möglichen Geldgebern aufzuzeigen, worin der unabdingbare praktische Wert urbaner Gemeinschaftsgärten liegt.

Über die scheinbar(!) “nur” ideelen Werte wie Verschönerung, Gemeinschaftsbildung, und bürgerschaftliches Engagement hinaus, sollten wir also lernen, sichtbar zu machen, dass Gärten im anstehenden Wandel (am Ende des Wachstums und der Ära billiger fossiler Energie)

  • teilweise zur Nahrungsmittel-Versorgung beitragen werden
  • Erholungsräume und Puffer-Zonen in möglicherweise anstrengend werdenden klimatischen Bedingungen bieten und vor allem
  • Raum bieten für das Erlernen neuer Umgangsweisen – mit der Erde und miteinander – die für uns als Spezies (Mensch/Stadtbewohner) überlebenswichtig werden.

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Wir sollten jetzt damit anfangen, Menschen verständlich zu machen, dass wir Garteninitiativen “wirklich greifbares bürgerschaftliches Engagement” leisten (wie das Detlef Thiel vom Amt für Stadtgrün und Abfallwirtschaft schon erkannt hat) und damit viel Wertvolles zum Gemeinwesen beitragen. Und dass Gärten im anstehenden Wandel eventuell wichtiger sind, als neue Schulgebäude, dichtere Wohnquartiere oder größere Forschungseinrichtungen – und ganz sicher wichtiger als Supermärkte, Luxuswohnungen und Parkhäuser.

Ich lade euch ein: Erzählt den Leuten, warum euer Garten so gut ist! Schreibt es in e-mails an die Stadtverwaltung, auf Postkarten an eure Oma, an Hauswände und Brückengeländer, in eure Blogs, Studiums-Arbeiten, Weihnachtswunschzettel … und hinter die Ohren:

Ohne Gärten keine Stadt!