2. April 2022 von Sebastian
Artikel von Lilly Barthel
Es ist Ende März. In den Gärten schleichen langsam die Schnecken aus ihren Verstecken. So oder ähnlich könnte man das Gleichnis der Teilnahme von UFER-Projekte Dresden e.V. an der jüngsten Saatgutbörse nennen. Nach zwei Jahren Pandemie nutzte unser Verein wieder die Möglichkeit, sich in der Öffentlichkeit zu tummeln und mit anderen gartenliebenden und wissbegierigen Menschen in Austausch zu treten – genauer in den Austausch von samenfestem Pflanzensaatgut zur Saatgutbörse im Kulturpalast am 26. März 2022.
Was für eine tolle Lokation: im Licht durchfluteten obersten Foyer des Kulturpalastes (nahe der Stadtbibliothek, dort wo die „Bücherwürmer*innen“ ihren Wissensdurst zwischen den Regalen stillen) waren acht Standtische aufgebaut und individuelle bestückt. Um uns herum befanden sich u.a. Gärtner*innen vom Aprikosengarten, der Johannishöhe, von ProSpecieRara und auch Einzelpersonen, die sich privat ungemein tiefgründig mit der Pflanzenvermehrung beschäftigen. Was für eine Gelegenheit an neues Saatgut und allerlei Wissen darum zu gelangen!
Es ist witzig und spannend zugleich, welche Ordnungssysteme sich die jeweiligen Gärtner einfallen lassen haben, um ihr Saatgut aufzubewahren und für den Tausch dekorativ zu präsentieren. Die einen bringen es praktisch, handlich im mittelgroßen Schraubenkoffer (wie man sie im Baumarkt erwerben kann) mit, andere tragen sie in einer Kosmetiktasche mit Einhörnern mit sich. Meine Mitstreiterin am Standtisch Amrei sortiert die Saatguttüten der Strieskanne in drei großen Aktenordnen: darin säuberlich Folien mit jeweils vier Einschubfächern abgeheftet. So lassen sich Sämereien thematisch wunderbar ordnen, z.B. nach Kräutern, Blumen, Gemüse. Die Samen selbst können hervorragend in Teebeutel-Einzelverpackungen umverpackt werden. Ausgedientes Schmierpapier oder hübsches Geschenkpapier lässt sich kreativ zu Saatguttüten falten. Laura und Falk von UFER-Projekte e.V. zeigten den Besuchern an ihrem Standtisch, auch sehr gern Kindern, wie die Falttechnik im Handumdrehen, sicherlich auch irgendwann im Schlaf, erlernt werden kann.
Am meisten hat mich persönlich der Gesprächsaustausch mit so unterschiedlichen pflanzenliebenden Menschen begeistert, denen man sonst nicht einfach so begegnet wäre. Mitunter trauten sich die Besucher*innen zunächst zaghaft an den Standtisch, um dann oftmals innerhalb weniger Minuten im Austausch über die jeweiligen Pflanzensamen und Pflänzlein im gegenseitigen Interesse aufzublühen. Schon nach kurzer Zeit wechselten mehrere kleine Samentütchen die Besitzer, sodass auch Amrei und ich glücklich neue Samentütchen in den Händen hielten. Schlenderten wir abwechselnd an den Tischen der anderen Tauschbörsenteilnehmer vorbei, ergab es sich leicht, dass man 10 bis 15 Minuten an einem Tauschtisch hängen blieb. Ich erfuhr Wissen über Pflanzen, die ich zuvor überhaupt nicht kannte. Ich unterhielt mich mit Menschen, die sich im Verein oder als Einzelperson hingebungsvoll ihren Pflanzen widmen. So bin ich selbst um ein Mehrfaches motiviert, die so erworbenen Pflanzensamen auszusäen und die Sprösslinge groß zu ziehen. Hier nur ein paar Beispiele, welch spannende Pflanzensamen ich erwerben konnte: Artischocke, Erdbeermais, welcher wie getrocknete Granatapfelkerne ausschaut (wunderbar als Poppmais geeignet), ein Kraut namens Venuskamm (eine Art Kerbel), Soja „Primus“, Gurkensamen „Yamato 3 feet long“, mexikanische Sonnenblumen oder Steirische Kirschbohnen.
Welch eine Überraschung: weitere Schätze erhielten wir von einer Besucherin, die ihre selbst groß gezogenen Süßkaroffelstecklinge in einem kleinen Pappbecher mit sich führte und samt ihrem Wissen darüber verschenkte. In einem Schnapsglas treibt dieser Steckling nun kleine neue Wurzeln. Ich bin gespannt, was sich aus diesem Winzling entwickelt.
Gut, dass am 2. April die Gartenauftaktveranstaltung bei uns im Gemeinschaftsgarten Johannstadt stattfindet, so können auch andere GärtnerInnen in den Genuss dieser Pflanzen kommen. Meine eigene Fensterbank bietet zur Pflanzenanzucht nur begrenzte Platzkapazität an.
Mein persönliches Fazit: welch ein Wissensschatz, ja welches Kulturgut Menschen über Jahrhunderte durch individuelle Pflanzenvermehrung, die Gewinnung ihrer Samen und den Erhalt verschiedenster Sorten an ihre Nachwelt weitergegeben haben. Noch wichtiger finde ich die Verbreitung des Wissens um samenfestes Saatgut. Was nützt es dem Gärtner, wenn er die Samen seiner selbst groß gezogenen Pflanzen nicht weitervermehren kann? Zudem finde ich es bedeutend, dass die Institution Zentralbibliothek Dresden für Bibliotheksnutzer*innen den kostenfreien Saatguttausch über das ganze Jahr hinweg ermöglicht: mit einer eigenen Saatgut-Bibliothek.