8. April 2016 von Gregor
Vor drei Monaten bin ich der Bienen AG des Gemeinschaftsgarten Johannstadt beigetreten, um mich neben der vielen organisatorischen Arbeit bei UFER mal wieder stärker praktisch zu betätigen. Seitdem habe ich viel gelernt – am allermeisten an diesem Dienstag:
Mitte März stellten wir fest, dass unsere beiden Bienenvölker noch nicht so aktiv mit Nektarsammeln und der Pflege neuer Brut beschäftigt waren, wie sie es üblicherweise um diese Jahreszeit sein könnten. Wir entschieden uns also dazu, ein wenig Honig vom letzten Jahr nachzufüttern, um ihnen zu helfen, wieder zu Kräften zu kommen.
Volkssterben in der Warré-Beute?
Letzte Woche mussten wir feststellen, dass eines der Völker – jenes in der sogenannten Warré-Beute – extrem dezimiert ist, keine neue Brut hat und viele Waben angeschimmelt sind oder sonstwie verdorben wirken. Einen Grund dafür konnten wir nicht wirklich identifizieren: Wir konnten keinen großen Befall durch Varroamilben oder sonstige Schädlinge erkennen.
Diesen Dienstag haben wir dann festgestellt, dass der Beutenboden voller frischer gelber und weißer Krümel ist, die letzte Woche noch nicht da waren. Erstere sind vermutlich abgeschrotete Zelldeckel vom Öffnen der Futterwaben und letztere vermutlich Wachsschuppen, was darauf hinweist, dass die Bienen neue Waben bauen. Leider aber ist die Königin verschwunden und da es deshalb auch keine Brut gibt, wird das Volk sich nicht mehr erholen können.
Uns bleibt also die Möglichkeit, die verbleibenden Bienen sterben zu lassen, oder zu versuchen, sie ins andere Volk zu integrieren. Letzteres ist jedoch bedenklich, weil sie Krankheiten übertragen können. Ersteres fällt uns natürlich schwer. Letztendlich liegt die Entscheidung beim anderen Bienenvolk: Sie können die am Flugloch bettelnden Nachbarbienen einlassen, oder ausstoßen. Um die Chancen zu erhöhen, würden wir die geschwächten Bienen vorher räuchern, bevor wir sie aus ihrem Stock werfen, sodass sie sich noch mit Honig vollpacken und damit einen höheren Wert für das Nachbarvolk haben. Selbst wenn sie dann durch die Einlasskontrolle kommen, heißt das aber noch nicht, dass sie keine Krankheiten einschleppen.
Was für eine aufwühlende Parallele zum Thema Flucht und Asyl! Da gibt es solche, die in ihrer Heimat keine Chance mehr haben und wir wollen ihnen gerne ein neues Zuhause geben. Aber kann das dort lebende Volk überhaupt damit umgehen? Und welche Anwärter erachtet es als wertvoll genug, um sie anzunehmen?
Königinnenmord in der Dadant-Beute?
Bevor wir uns an diese heikle Aktion machten, entschieden wir uns dazu, erstmal das andere Volk – in der sogenannten Dadant-Beute – zu begutachten. Hier fanden wir einigen Varroabefall, der das Volk aber nicht geschwächt hat: Es sammelt fleißig Nektar und hat viele Waben mit Brut gefüllt, aus der gerade nach und nach Drohnen schlüpfen, also die männlichen Bienen, die nur zur Befruchtung da sind.
Aber was ist das?
Scheinbar hat das Volk auch unzählige Weiselzellen angelegt – daraus werden mehrere potenzielle neue Königinnen schlüpfen, was das Volk wohl demnächst dazu verlassen wird, zu schwärmen, also auszuziehen und sich eine neue Bleibe zu suchen. Seit etwa dreißig Jahren ist dieses natürliche Verhalten der Bienen aber leider aussichtslos: Durch die industrielle Landwirtschaft hat sich die Varroamilbe extrem ausgebreitet. In freier Wildbahn würde sie das Volk innerhalb weniger Wochen dahinraffen.
Während wir diese Schlussfolgerung verdauen, zieht ein Gewitter auf – und der Bienenstock ist immer noch offen. Die Bienen werden nervös, wir werden nervös. Wir versuchen, die Weiselzellen zu öffnen, um die Königinnenbrut zu töten und damit das Schwärmen zu verhindern. Zwei Bienen krabbeln unter Petras Schutzhut. Beim Versuch, ihn auszuziehen, werden sie unsanft berührt und stechen daraufhin. Jetzt wird es kritisch. Die Bienen nehmen unsere Anspannung und die Stachelpheromone ihrer Kolleginnen wahr, stufen uns zunehmend als Bedrohung ein. Jane und Ulf werden mehrmals gestochen. Unter diesen Umständen müssen wir trotzdem die Waben untersuchen, pflegen und den Bienenstock vorsichtig genug wieder verschließen, um dabei möglichst keine Bienen zu verletzen.
Irgendwann ist es geschafft
Das Gewitter ist vorbeigezogen, der Stock wieder verschlossen – wir können unsere Stiche mit Tigerbalsam versorgen.
Ein Rähmchen mussten wir aber draußen lassen, weil es neben Drohnenbrut noch voller Weiselzellen zu sein schien. Jetzt stellt sich die Frage, was wir damit machen. Unterdessen nagen sich immer mehr Drohnen aus ihren Brutwaben und erblicken das Licht der Welt. Wir entscheiden uns, die Weiselzellen mit den darin wachsenden Maden nicht einfach zu zerstören, sondern sie noch einem Zweck zuzuführen – wir probieren, sie zu essen. Nach einigem Zögern schaffen wir es alle, uns eine in den Mund zu stecken. Sie haben die Konsistenz eines zwei Minuten gekochten Eies. Für Jane schmecken sie nach frisch gekeimtem Weizen, für mich nach Hefeflocken. Ulf entscheidet sich, die Wabe mit nach Hause zu nehmen.
Am Abend die überraschende Wendung
Die vermeintlichen Königs-Anwärterinnen, die wir getötet und gegessen haben, waren in Wirklichkeit nur die Brut einfacher Arbeiterbienen. Wir hätten sie also getrost drin lassen können und in Ruhe schlüpfen lassen müssen. Da haben wir einen schweren Irrtum begangen! Zum Glück ist Ulf – zum Zeitpunkt der überraschenden Erkenntnis noch im Garten (mit dem betreffenden Rähmchen), die meisten Brutzellen sind noch intakt und er kann sie wieder in den Stock einsetzen. Puuuh! Glück gehabt.
Das Meiste dessen, was ich hier beschrieben und erklärt habe, habe ich vorher noch nie gesehen, geschweige denn jegliche Zusammenhänge verstanden. Für mich waren es also ein paar aufregende Stunden an diesem Dienstagnachmittag, hinterher war ich erstmal ziemlich fertig. Mein Verständnis über Bienenhaltung ist noch ein bisschen (wenn auch nicht viel) mehr gewachsen als Petras gestochene Unterlippe.
Wenn man so viel auf einmal lernt, dann steht man wohl in einem Bienenschwarm in einem Gemeinschaftsgarten.